Warum ich mich von einer tollen Kamera trennte:
Tschüss O-MD
Mein Therapeut sagt, man müsse sich seinen Süchten, Fehlern und falschen Ideen offen stellen, um sich weiterzuentwickeln. Da ich mir keinen Therapeuten leisten kann, müsst Ihr also jetzt meine erste Therapiesitzung gemeinsam mit mir durchstehen. Also: Alle Stühle in einen Kreis und los geht’s: “War die O-MD E-M1 ein Fehler?”
Einige haben es gemerkt, dass ich nach einigen Lobeshymnen auf die Oly diese hier und anderswo treulos zum Verkauf angeboten habe. Ich habe Mails mit besorgten Nachfragen bekommen, was mich zu dieser Scheidung veranlasst hätte.
Um es vorweg zu nehmen: Sie ist zu schlecht als Nummer 1 und zu gut als Nummer 2. Ich fotografiere normalerweise mit einer Canon 5DIII und einer 6D als Back-Up und einem Linsen-Line-Up von 16-200 mm weitgehend mit Festbrennweiten oder lichtstarken Zooms. Meine Themen sind Hochzeiten und People/Porträt. Meine Überlegungen für ein anderes System habe ich hier erläutert, sie decken sich sicher mit anderen Blogeinträgen: Weniger Gewicht, weniger “Klotz vorm Gesicht”, für den Alltag etwas Kleines, Leichtes zum immer-dabei-haben etc. etc. Daher habe ich mich nach langem Abwägen für die Oly entschieden, es hätte aber auch eine Fuji X-T1 werden können. Meine Überlegungen dazu finden sich hier.
Ich hatte die Oly auf Hochzeiten dabei und auf Reisen mit und nach einiger Zeit kristallisierte sich für mich folgendes heraus:
Sie ist eine großartige Kamera mit vielen Features, die das Fotografieren erleichtern und beflügeln. Im erste Linie gehören dazu der Bildstabilisator, das schwenkbare Display, die Bildqualität und die Robustheit. In zweiter Linie auch das Design, schöne verfügbare Optiken, wie das 75mm 1.8 und natürlich Gewicht und Abmessungen.
Faktisch hat sie es aber nicht geschafft, meinen Canons den Rang abzulaufen. In erste Linie wegen des kleineren Sensors, der komplizierten Menüstruktur, der geringeren Auflösung und des ungewohnten 4:3 Bildformates. In zweiter Linie wegen der lausigen Akkulaufzeit und des großen Vorsprunges, den meine Canon Ausrüstung vom Umfang her hatte: 2 Bodies und ein komplettes Objektiv-Line-Up mit Lichtstärken von 1.4 oder max. 2.8 ließen mich dann doch immer wieder zur Canon greifen und nicht zur Oly.
Wenn ich gewollt hätte, hätte ich natürlich das Oly-System genauso ausbauen können, wie mein Canon System. Lichtstarke Festbrennweiten, Blitze, Zweit-Body etc. Das hätte viel Geld gekostet, hätte aber an den technischen Einschränkungen nichts geändert: 16 MP sind zum Croppen dann doch häufig etwas wenig, das 4:3 Format ist mir bis zum Schluss nicht ans Herz gewachsen, das Umstellen auf das gewohnte 2:3 hätte von der knappen Auflösung noch etwas weggenommen und das völlig überfüllte und bescheiden übersetzte Olympus-Menü mit zum Teil rätselhaften deutschen Bezeichnungen machten die Laune nicht wirklich besser. Als Konkurrenz für meine Canons bei Hochzeiten und anderen Aufträgen schied sie also dann doch aus. Dies auszuprobieren war allerdings der Grund, sie anzuschaffen.
Blieb noch der Wunsch nach einer kleinen Kamera für den Alltag, für Reisen und alle anderen Gelegenheiten, wo ich keine 5DIII mitschleppen wollte. Und in der Tat macht die Oly hier eine super Figur. Für mich ist sie die ideale Street-, Reportage und Reisekamera. Ich hatte sie in New York und in Istanbul dabei und sie hat mir tolle Fotos geschenkt. Knackscharf, diskret über das Touch-Display auszulösen, klein, wetterfest: Kurzum, die perfekte Kamera. In New York hatte ich auch fast nur das 12-40 2.8.PRO drauf, nur für ein Model-Shooting kam mal das 75 1.8 zum Einsatz.
Wäre ich häufiger auf großen Reisen, hätte ich sie alleine dafür behalten, denn dabei macht sie wirklich einen super Job. Der kleine Sensor sorgt für große Schärfentiefe auch bei offenen Blenden, croppen muss man hier (oder zumindest ich…) weniger und auf die perfekte Freistellung kommt es dabei weniger an. Das fehlende Gewicht lernt man jeden Tag zu schätzen und die Robustheit kommt einem in der New Yorker U-Bahn auch entgegen. Also für alle Reisenden: Klare Empfehlung! Immer noch!
Da die E-M1 nun aber für normale Job’s ausgeschieden war und Reisefotografie nicht mein primäres Sujet ist, stellte sich irgendwann die Frage, ob ein ganzes Zweit-System im Schrank mit inzwischen immerhin auch 4 guten Objektiven nicht irgendwie zu viel des Guten wäre. Als Kamera für jeden Tag, die man noch schnell in die Tasche wirft, um sie auf jeden Fall dabei zu haben war sie zu groß. Die Frage, welche Optik denn nun gerade die passende wäre, nervte mich zusehends, so dass in mir der Gedanke reifte, mich trotz der unbestrittenen Qualitäten von ihr zu trennen.
Mein Wunsch ging hin zu einer wirklich kleinen Kamera, feste Brennweite, gute Bildqualität, flach und jackentaschentauglich und trotzdem professionellen Ansprüchen in Sachen People- und Porträt gewachsen. Die Fuji X100T tauchte in meinen Phantasien auf und drängte sich immer mehr zwischen mich und die Oly. Und so ist es wie in jeder Beziehung: Die Nebenbuhlerin hat nur eine Chance, wenn es in der Ehe kriselt. Und so geschah es auch bei mir.
Die X100T kann weniger als die E-M1, vielleicht ist sie formal die “schlechtere” Kamera (ich finde sie in einigen Belangen allerdings sogar besser…), aber sie deckt genau meine Bedürfnisse. Die Oly war zu gut als Nummer 2 und nicht gut genug als Nummer 1, das war ihr Schicksal. Die X100T will nie die Nr. 1 werden und überlässt das der 5DIII und der 6D. Sie ist nahezu jeden Tag dabei, macht mal ein Shooting mit, bei dem es nicht so drauf ankommt und bringt einfach Spaß. Wenn ich mehr verwendbares Referenzmaterial zu ihr habe und wir uns besser kennengelernt habe, stelle ich sie Euch auch nochmal ausführlich vor. (Das Review ist inzwischen fertig und findet sich hier…)
Welche Erkenntnis bleibt?
Meine Oly-Experiment war außerordentlich spannend, hier die wichtigsten Erkenntnisse:
- Es gibt gute und ernstzunehmende Alternativen zur DSLR, vermutlich werden diese sogar eher die Zukunft sein. Fuji mit der X-Pro2, Olympus mit der E-M1 und auch Sony bauen großartige Kameras. Die Antwort: “Siehste, nur Vollformat-DSLR ist das einzig Wahre”, wäre mir zu schlicht. Dafür haben diese Kameras auch genug Nachteile.
- Bei Handling, Freistellung, Auflösung und vorhandenen Linsen liegt für mich persönlich meine Canon-System vorne. Das kann auch schlicht Gewöhnung sein, vielleicht unterschätzte ich das.
- Es kommt nicht in erster Linie darauf an, ob eine Kamera gut ist, sondern ob sie die vorgesehenen Aufgaben erfüllen kann. Für mich lagen die Oly und meine Canons zu dicht beieinander, Canon und Fuji X100T trennen Welten und das gibt beiden den Raum zum Leben.
- Eine Kamera, die im Schrank steht, ist keine glückliche Kamera.
- Die Beschränkung der X100T auf eine Brennweite und drei mechanische Rändelräder (Blende, Zeit, Belichtungskorrektur) ist wie eine Offenbarung. Menü? Was ist das noch gleich? Doch zur X100T wie gesagt später mehr.
So, das war sie, meine kleine Therapiesitzung mit Euch. Ich danke Euch für’s Zuhören. Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass die Spiegellosen allgemein und insbesondere die E-M1 keine schlechten Kameras sind, sondern für bestimmte Zwecke der DSLR sogar überlegen sind, nur in meinem persönlichen Portfolio die Trennung eine sinnvolle Entscheidung war. Und nun gehe ich mit meiner kleinen bescheidenen X100T raus. Mit nur einer Brennweite. Unfassbar.
(alle Bilder oben und im Artikel sind mit der O-MD gemacht. Lebe wohl!)
Heiko
Juli 01, 2016
Hallo Matthias,
ein sehr interessanter Artikel, den ich sehr gut nachvollziehen kann. Auch ich habe mich in das Abenteuer Olympus gestürzt und leider feststellen müssen, daß die Kunden einen mit ner Olympus vor der Nase nicht ernst nehmen. Ich hatte sie bei ein paar Hochzeiten auch beim Porträtshooting mit dabei und obwohl ich sie, wie meine 5D III mit Blitzanlage usw nutzte, waren die Reaktionen doch immer gleich: ein kurzes Nase rümpfen, die Nachfrage ob das die Kamera sein soll, mit der die Fotos entstünden und eine ins Gesicht geschriebene Irritation meiner Paare.
Jetzt nutze ich sie bei Hochzeiten nur noch wenn ich ein Gruppenfoto von Oben machen muß, auf einem ausgefahrenen Stativ oder Boomstick und bediene per Wifi.
LG Heiko
Manu
Juli 05, 2016
Wenn ich als Fotograf mehr als 16MP brauche, nur um croppen zu können, würde ich mal an meinen Fotografierskills arbeiten 😉
Matthias
Juli 05, 2016
Hallo Manu,
vielen Dank für Deinen Kommentar. Das kann man so sehen, muss man aber nicht.
Liebe Grüße
Matthias
oli
Juli 15, 2016
Wenn ich meinen Lebensunterhalt mit Fotografie verdienen würde, dann hätte ich sicher (acuh) andere Entscheidungsparameter. Für einen Hobbyknipser wie mich ist eine mFT (Bei mir Lumix GX8&GM5) deutlich effektiver in Sachen Preis, Gewicht, Leistung als meine Nikon Vollformat-Ausrüstung (D600). Ich habe 1/3 an Gewicht/Raum für das gleiche Linsen-Lineup und am Ende sehen meine Kinder auf den Bildern genauso nett/lieb/toll/verrückt/verspielt/träumend/schlafend aus wie mit der dicken, schweren D600. Just my 2 cents.