Liebe Alexandra,
vielen Dank für Dein Bild, das Du mir für mein Projekt „Time for pictures – Zeigt mir Eure Fotos“ geschickt hast. Dein Bild ist in doppelter Hinsicht ein Novum: Zum einen ist er das erste Farbbild, zum anderen eine klassische Reise- oder Landschaftsaufnahme.
Das Bild ist vermutlich ein Urlaubsfoto. Damit ist es primär eine persönliche Erinnerung an einen Ort, ein Erlebnis oder einen Zeitabschnitt, der einem persönlich wichtig ist. Dies gibt dem Foto den persönlichen Wert. Die Frage ist immer, ob Urlaubsfotos auch einen darüberhinausgehenden Wert haben. Dieser Frage möchte ich mich im Folgenden etwas widmen und danke Dir, dass Du diese Überlegungen mit Deinem Foto erst ermöglichst.
Bevor ich einsteige, erfolgt an dieser Stelle schon fast traditionell der Aufruf, Euch selbst mit Fotos zu beteiligen und dieses Projekt etwas zu streuen und zu promoten. Ich bin abhängig von Euren Einsendungen. Wenn ich ein Bild wirklich unglaublich schlecht finden sollte, werde ich darüber hier nicht schreiben, habt also keine Angst, Euch mit Euren Werken zu beteiligen, wenn Ihr die vorherigen Posts über die Bilder von Anette und Nadine lest, werdet Ihr feststellen, dass es weniger um eine Bildkritik, als vielmehr um eine wohlwollende Bildbetrachtung geht. Also: Her mit Euren Bildern: info@bilderwerft.com
Zurück zur Ausgangsfrage: Was macht ein Urlaubsbild zu einem „guten Foto“? ein Urlaubsfoto steht mit einem Bein im eigenen Leben und mit dem anderen Bein im Leben des besuchten Landes oder Ortes. Die Fischer auf dem Nil sind Teil Ägyptens und vermutlich heute noch dort und sie sind im Moment des Fotos Teil Deiner Reise, Deiner Stimmung und Wahrnehmung. Ob es ein „gutes Foto“ ist, entscheidet sich für mich im „zweiten Bein“. Erzählt uns das Foto etwas über das Land, vermittelt es einen Eindruck, erzählt es eine Geschichte, die mir Ägypten näherbringt? Erfahre ich also nicht nur etwas über den Urlaub, sondern auch über den Ort und die Menschen? Das andere Kriterium ist ein ästhetisches: Ist das Bild „schön“, ist es gut komponiert in Schnitt, Farben und Gewichtung, kurz gefällt es mir? Dein Bild, Alexandra, gefällt mir, auch wenn ich ein ganz klein wenig nörgeln werde. Lass uns loslegen!
Gestaltung:
Wir sehen auf Deinem Bild eine klassische Landschaftsszene, wie wir sie auch aus der Malerei kenne. Ich musste sofort an Landschaftsbilder italienischer Meister denken. Insbesondere die Einbettung des Menschen in die Landschaft ist typisch für die Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts und auch konkret die Fischer auf dem Fluss kommen dabei immer wieder vor. Insofern ist Dein Bild für mich ein gutes Beispiel dafür, dass wir alle bestimmte Bilder, Themen und Motive im Kopf haben, auf die wir unbewusst immer wieder zurückgreifen. Daher an dieser Stelle der Vorschlag an alle Leser: geht mal wieder ins Museum oder die Kunsthalle, schaut Euch Gemälde an und lernt vieles über Licht, Gestaltung und Motivwahl. Je größer der visuelle Schatz ist, den Ihr im Kopf dabei habt, umso mehr werdet Ihr ihn bei Eurer Fotografie nutzen können.
Gestalterisch ist für mich bei dem Bild noch etwas Luft nach oben, wobei ich natürlich nicht die Gegebenheiten und Möglichkeiten vor Ort kenne. Trotzdem schreibe ich mal auf, was ich versucht hätte, anders zu machen. Dominierend sind für mich zwei Dinge, die mich stören: Zum einen die mittige Position der Fischer, die für mich als Hauptmotiv etwas aus der Mitte heraus gehören. Da das Boot nach rechts fährt, hätte ich sie etwas nach links gesetzt, die Positionierung nahe am unteren Bildrand hingegen gefällt mir gut. Das zweite ist für mich die Aufteilung der horizontalen Linien. Wir haben in dem Bild vier Bereiche: Wasser, Palmen, Wüste, Himmel. Der Himmel ist nur minimal zu sehen, der Übergang der Palmen in die Wüste ist bildwichtig, da er zeigt, dass es sich um eine Oase oder einen nur schmalen grünen Uferstreifen am Nil handelt und das Boot ist natürlich auch wichtig. Ich glaube, mir ist das Bild zu unentschlossen: Für eine Landschaftsaufnahme ist es mir nicht weit genug und hat zu wenig Himmel, für ein Bild allein von dem Boot ist wiederum zu viel drauf. Vielleicht hätte ich mich für ein Foto der Fischer dazu entschlossen, auf den Himmel zu verzichten und mit langer Brennweite nur die Fischer und Ihr Boot aufzunehmen. Und bei einer Landschaftsaufnahme hätte ich wohl auf die Details des Boots verzichtet und es einfach als kleines Element mit in eine Weitwinkelaufnahme eingebaut. Deine Olympus nimmt im Format 3:4 auf, was für beeindruckende Landschaften weniger gut geeignet ist, als 2:3 oder gar noch weitere Formate (10:9) Eine Spiegelreflex mit 2:3 hätte Dich vermutlich schon beim Blick durch den Sucher gezwungen, die Frage nach dem Himmel eindeutig zu beantworten.
Insofern ist das Bild vielleicht auch typisch für viele Fotos, auch meine eigenen. Es fällt uns immer schwer zu verzichten und uns für etwas zu entscheiden. In diesem Falle wäre die Frage Boot oder Landschaft? Dazu komme ich später nochmal zurück.
Vielleicht hätte auch ein anderer Kamerastandpunkt etwas verbessert. Das Bild ist vom anderen Ufer oder vom Deck eines Kreuzfahrtschiffes aufgenommen, daher ist der Blickwinkel schon leicht von oben, was es schwer macht, mit dieser Brennweite noch Himmel mit ins Bild zu bekommen. Ich hätte -wenn möglich- auf Wasserhöhe fotografiert und dann noch deutlich Vordergrund mit hineingenommen, um das Bild besser zu staffeln. Und auch wenn es vom Schiff gemacht ist, hätte ich davon etwas vorne mit reingenommen, dies wäre inhaltlich auch sinnvoll gewesen (siehe Inhalt). Mir fehlt eine klare Tiefenstaffelung in Vorder-, Mittel- und Hintergrund. Das kann man als theoretische Regelhörigkeit abtun, aber in diesem Falle hätte eine solche Staffelung dem Bild vielleicht gestalterisch gutgetan?
Du siehst an diesem recht langen Abschnitt, dass ich mit der Gestaltung in Deinem Bild am meisten gekämpft habe. Obwohl ich Dein Bild mag, mir die Farben gefallen und ich auch den Moment gut erfasst finde, zeigt es eben auch, wie wichtig es ist, sich über die Gestaltung von Bildern Gedanken zu machen. Ich habe, während ich dies hier schreib, immer wieder bei Google in die zahlreichen Bilder geschaut, die man unter dem Stichwort „Landschaft“ oder „Landschaftsmalerei“ findet. Dort findet man diese Fragen alle wieder und kann sehen, wie die Maler des 19. Jahrhunderts sie gelöst haben.
Ich habe alle diese Dinge geschrieben und dabei so getan, als hättest Du das alles umsetzen können. Es kann auch sein, das dieses Foto nur in einem kurzen Augenblick und nur von dieser Position möglich war, trotzdem sind diese Eindrücke vielleicht hilfreich gewesen.
Fotografisch:
Wenn das Bild von einem fahrenden Schiff herab gemacht wurde und sich vielleicht auch noch die Fischer bewegt haben, ist das Einfrieren dieser Bewegung bei gleichzeitig ausreichender Tiefenschärfe für Palmen und Wüste im Hintergrund die Herausforderung. Du hast Dich am Four/Thirds Sensor Deiner Olympus für f:7,1 und eine 1/100 Sek. bei ISO 100 entschieden. Vielleicht wäre es im Sinne der oben erwähnte Frage des „Boot“ oder „Landschaft“ auch möglich gewesen, mit offener Blende nur auf das Boot zu fokussieren und die Landschaft bewusst unscharf werden zu lassen, dich also auch fotografisch auf eines der Bildthemen zu „fokussieren“.
Zum Sensor und seinem Format hatte ich oben schon etwas geschrieben. 4:3 ist für Landschaften als Seitenverhältnis nicht soooo glücklich, ich hätte das in der Bearbeitung vermutlich auf 2:3 geändert. Mir scheint es so, als käme das Bild so aus der Kamera. Wenn Du eine RAW-Datei hattest, hätte das Bild nach meinem Geschmack noch etwas Kontrast und Farbe und vielleicht etwas Schärfe bekommen können. Vielleicht hätte man dem Bild auch einen etwas spezielleren/analogen Look geben können, vielleicht sogar in s/w, denn das Motiv ist bemerkenswert zeitlos. Dieses Bild hat man sicher auch schon vor 200 Jahren so aufnehmen oder malen können, s/w hätte diesen Eindruck vielleicht verstärkt. Aber das sind letztlich Geschmacksfragen.
Als Brennweite steht in den EXIF-Daten 45mm. Wenn das noch nicht auf Kleinbild umgerechnet ist, wären das sogar 90mm. Das ist natürlich beides für eine Landschaft recht lang. Mit 24mm hättest Du natürlich das volle Panorama, aber vielleicht auch hässliche Gebäude…
Noch etwas zum Licht: Das hat man nicht in der Hand, außer man hat die Möglichkeit bis zu einem tollen Licht zu warten. Während die ersten beiden Beiträge von Anette und Nadine sehr spezifisches Licht hatten, ist es hier merkwürdig flau. Der Himmel ist eher grau als blau, man erkennt die Lichtrichtung erst auf den zweiten Blick und für einen stimmungsvollen Sonnenuntergang ist es zu früh am Tag. Das kann man im Prinzip nicht mehr ändern, aber vielleicht hätte man das in der Bearbeitung noch etwas abfangen können. Ich kenne diesen Eindruck von eigenen Fotos aus Afrika und habe mich da in der Bearbeitung auch immer extrem schwer getan. (Damals noch im jpeg…)
Inhalt:
Ich habe das Thema Inhalt schon gestreift. Das Bild ist Ägypten pur. Vielleicht hätte das Boot noch ein Segel haben können aber da kannst Du ja nicht dran ändern. Trotzdem sieht man sofort: Wir sind am Nil, es sind zwei Fischer. Der linke holt gerade ein Netz ein, sein Kaftan ist unten und am Ärmel schmutzig, offenbar muss er immer wieder ins schlammige (und krokodilversuchte?) Wasser, was dem Bild seine pittoreske Harmlosigkeit nimmt. Auch der am Ufer sichtbare Müll weist darauf hin, dass nicht alles Gold ist, was hier so touristenwirksam glänzt. Dagegen leuchtet der Fes des Fischers umso mehr.
Wenn das Bild vom Schiff aufgenommen wurde, hättest Du vielleicht durch das Hineinnehmen von Details (Reling, Fußspitzen auf einer Liege o.ä.) die Welt des Kreuzfahrtschiffes mit hineinbringen können und dadurch die Geschichte um eine Dimension erweitert: Die Touristen hier, die Einwohner dort. Reichtum hier, Armut dort. Dann wäre das Bild nicht mehr so „schön“ und „ansehnlich“ gewesen, hätte aber noch etwas mehr zu erzählen gehabt. Aber auch die Entscheidung für ein pittoreskes Bild ist ja völlig in Ordnung.
Interessant finde ich die Verzierung des Bootes mit den Fischen und dem Auge vorne, als wäre es selbst ein Fisch. Offenbar haben auch diese armen Fischer Zeit und Lust, ihr Boot auch „hübsch“ zu machen und vielleicht mit einem schützenden Auge zu versehen. Es ist offenbar nicht reines Arbeitsgerät, sondern hat eine Seele und Bedeutung für die beiden.
Du merkst: Der Inhalt hängt ganz klar an den beiden Fischern, ohne sie wäre das Bild eine reine Landschaft.
Liebe Alexandra,
ich habe nun alles noch einmal durchgelesen und finde, es klingt nörgeliger als angemessen. Mir gefällt das Bild wirklich gut, als ich es in Deiner Mail sah, dachte ich sofort: „Oh klasse, tolles Foto, mal in Farbe, freue ich mich drauf.“ Und je mehr ich mich dann versenkt habe, habe ich über Veränderungen nachgedacht. Und trotzdem gefällt es mir immer noch. Für Dich ist es eine vermutlich wichtige und schöne Erinnerung an einen Urlaub. Nur Du weißt, wie, wann wo und unter welchen Umständen das Foto entstanden ist und nur Du kannst entscheiden, ob meine Überlegungen umsetzbar gewesen wären oder nicht. Mir ist an Deinem Bild klar geworden, wie wichtig die gestalterischen Fragen sind und dass ich selbst mich beim Fotografieren auch noch nie so intensiv damit auseinandergesetzt habe, wie jetzt in dieser Bildbetrachtung. Ich verdanke Dir also den ersten fotografischen guten Vorsatz. Deswegen danke ich Dir für das Bild, ich habe daraus unheimlich viel gelernt. Dir ein glückliches fotografisches Jahr.
Dein Matthias
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