Premiere auf meinem Blog, der ja eigentlich gar keiner ist: Eine Buchbesprechung. Bei meinem Blick in den Bücherschrank nehmen die alten Schinken aus dem Studium immer weniger und die Bücher zur Fotografie immer mehr Platz ein. In der Annahmen, aus Büchern das lernen zu können, was einem an fotografischer Kunst noch fehlt, sammeln sich zahlreiche Bücher mit verführerischen Titeln im Schrank.
“In 10 Schritten zum perfekten Foto” ist da noch eine der harmloseren Übertreibungen. Ich habe viel aus Büchern gelernt und vieles auch nicht. Es geht nichts über ausprobieren und fotografieren, was wir wahrscheinlich alle viel zu wenig machen und nur in Kombination damit machen Bücher überhaupt Sinn: erst lesen, dann ausprobieren. Bücher können inspirieren, motivieren, als Nachschlagewerk dienen oder einfach nur den Schrank verstopfen. Und die Anzahl von Büchern zu einem Thema steht im umgekehrten Verhältnis zu Deinen Fähigkeiten in diesem Bereich: Nach einigen Jahren habe ich definitiv am meisten Bücher zum Thema Posing und Modelführung gekauft und gelesen. Keines hat mich wirklich weitergebracht, außer das heute vorgestellte “Perfektes Posing mit System. Der Praxisleitfaden für Fotografen und Models” von Roberto Valenzuela. Schon wieder so ein Titel: “Perfekt” und dann auch noch mit System. Und doch unterscheidet es sich deutlich von anderen Büchern zum Thema und hat es deswegen in meinen Blog geschafft.
Doch von Anfang an: Ich bin wie die Jungfrau zum Kind zur Fotografie gekommen, aus Spaß wurde ernst und bald kamen die ersten Hochzeiten. Da erarbeitet man sich ein Repertoire, das einen nicht immer nur glücklich macht, aber funktioniert. Strukturiertes Lernen ist was anderes. Also liest man Bücher, macht Workshops und versucht, die Lücken zu füllen. Ich persönlich habe für mich eine Lücke im Bereich Posing und Modelführung gesehen und weiß, dass es vielen Fotografen ebenso geht. Also kaufte ich zahlreiche Bücher und wurde nicht wirklich schlauer: entweder es waren Bilderbücher mit 1000 verschiedenen Posen, fein geordnet nach sitzend und stehend, Mann oder Frau, schwanger oder nicht. Doch im entscheidenden Augenblick hat man keine parat und weiß sie auch nicht in Worte zu fassen. Ich persönlich lerne im “Häppchen-Verfahren”: Aus Büchern und Workshops nehme ich meist ein oder zwei Dinge mit, die ich wirklich sofort überzeugend und einleuchtend finde und übernehme sie. Dieses Buch enthält in meinen Augen viele gute Häppchen, die man nach und nach verputzen sollte, weil man sich etwas den Magen überlastet, wenn man gleich das ganze Buffet abräumt.
Irgendwann bestellte ich also mal wieder Bücher und eben auch das erwähnte “Perfektes Posing mit System”. Offenbar kann man in Amerika auf einen knackigen Titel nicht verzichten. Sei’s drum. Im Innenteil wird es dann nochmal kurz ganz schlimm: Da laufen einem Begriffe wie “P3S” über den Weg, die Abkürzung für “Perfect Picture Posing System”. Auf so etwas stehe ich ja gar nicht. Muss ich aber auch nicht, denn auch ohne diese dämlichen Begriffe und Abkürzungen funktioniert das Buch. Offenbar wollte der Autor seiner Methode einen knackigen Titel samt Abkürzung geben.
Was das Buch so angenehm von allen vielen unterscheidet und hilfreich macht, ist leider genau das: Das Posen mit System und nicht nach Vorbild. Ziel ist es, systematisch und nach bestimmten Kriterien Deine eigene Pose aufzubauen und nicht einfach blind irgendetwas nachzufotografieren, was Du in einem Buch gesehen hast. Valenzuela hat sein System in (Achtung:) in 15 Bereiche aufgeteilt, die es zu beachten gilt. Viele Fotografen haben -glaube ich- auch Respekt oder Angst vor dem Thema Posing, weil sie das Gefühl haben, nicht auf 3, sondern auf 1000 Dinge achten zu müssen. Insofern sind die 15 Bereiche eigentlich gar nicht viel, sondern bringen in die 1000 zu beachtenden Dinge eine übersichtliche Struktur, die es eher einfacher, als schwieriger macht. Das klingt also erst einmal verwirrend viel, erschließt sich aber beim Lesen. Es sind mal so grundlegende Dinge wie die Haltung, mal so technisch obskure Dinge wie das Hand-Arm-Kontext-System (“HCS”, Abkürzungen müssen sein…) Hinter jedem Bereich verbirgt sich aber eine sinnvolle, weil funktional gedachte Sammlung von Hinweisen, die wirklich nachvollziehbar sind.
Das Ganze verliert seinen Schrecken auch dadurch, dass man schnell merkt, welche Bereiche man ohnehin im Auge hat beim Fotografieren und welche wirklich “Baustelle” sind. Und viele dieser 15 Bereiche lassen sich auch schnell zusammenfassen, das erwähnte mysteriöse “Hand-Arm-Kontext-System HCS” würde ich sehr kurz zusammenfassen mit: “Gib den Händen was zu tun!” Valenzuela erläutert dann noch ein wenig, was “was zu tun” konkret heißen kann. Und letztlich müssen diese 15 Bereiche nicht immer alle und nicht immer alle gleichzeitig zum Tragen kommen. Sie bringen einen aber dazu, etwas zu tun, was auf jeden Fall sinnvoll ist: Erst in Ruhe die Pose zu bauen und dann die Fotos zu machen. Ich merke an mir selbst, dass ich zu schnell fotografiere, statt in Ruhe erst mal alles “einzurichten”. Die 15 Punkte können einen also auch beim Fotografieren strukturieren.
Das Ziel von Valenzuela ist ein “gestellter Fotojournalismus”. Unter diesem widersprüchlichen Begriff versteht er, Foto zu machen, die geposed sind, aber so aussehen, als wären sie es nicht. Unsere Brautpaare oder Protagonisten bringen eben den gewünschten Bildeindruck gerade nicht dann mit, wenn wir fotografieren, sondern vielleicht dann, wenn wir gerade anderswo unterwegs sind. Also müssen wir ihn im Shooting erzeugen, ohne dass es so aussieht. Mit diesem Verständnis kann ich mich anfreunden, allerdings gehen seine Fotos doch häufig in den aufwendig, cineastisch geposten Bereich. Aber das ist mein Geschmack.
Ich erspare Euch, die komplette Gliederung aufzulisten, einiges erkennt Ihr auf dem Foto. Schön ist, dass Valenzuela nicht nur seine schönsten Shots zeigt, sondern auch “vermurkste” Posings als Anschauungsbeispiel liefert. Das Buch ist reichhaltig illustriert, gut geschrieben, ohne den z.B. bei Scott Kelby üblichen pseudo-lustigen Humor. Die Ausführungen sind logisch, plausibel und nachvollziehbar, das Buch aus dem dpunkt Verlag wertig als Hardcover gemacht.
Ich habe das Buch nun durch und würde empfehlen, sich immer mal einen Aspekt herauszusuchen und beim einem Shooting nur darauf zu achten, um Stück für Stück die Bedeutung für das eigene Fotografieren einschätzen zu können und die verschiedenen Bereiche nach und nach ins eigene Repertoire zu übernehmen. Wie gesagt, Ihr findet hier keine fertigen Posen, sondern eine Methode, wie Ihr Eure eigenen Posen entwickeln könnt und dabei auf wichtige Kleinigkeiten achtet. Das finde ich sehr charmant.
Ein paar Kritische Anmerkungen: Valenzuela lebt in den Kalifornien und betreibt das, was ich als “Extrem hochwertige, klassische Hochzeitsfotografie” bezeichnen würde. Persönlicher Geschmack variiert immer, mir ist vieles an seinen Bildbeispielen zu klassisch, gestellt, kitschig, konservativ, amerikanisch. Aber das ändert nichts daran, dass seine Posing-Hinweise sinnvoll sind und auch in anderen, etwas moderneren Settings funktionieren. Es ist an Euch, seine Posing-Tips in Eure Bildsprache zu integrieren.
So, abschließend noch ein klärendes Wort: Ich habe mir das Buch selbst gekauft, selbst bezahlt und selbst gelesen und genieße aus dieser Rezension keinerlei Vorteile. Ich freue mich über Eure Kommentare, Likes und was es sonst noch so alles gibt!
Roberto Valenzuela: “Perfektes Posing mit System. Der Praxisleitfaden für Fotografen und Models”
Gebundene Ausgabe: 336 Seiten
Verlag: dpunkt.verlag GmbH; Auflage: 1., Auflage (18. September 2014)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3864902126
ISBN-13: 978-3864902123
Hochzeitsfotograf Kirill
März 01, 2015
Ich habe schon kreativere Fotografen, als Roberto Valenzuela gesehen, aber sein Ansatz das Posing zu systematisieren verdient Respekt und Aufmerksamkeit. Für jeden Fotografen, der mit dem Posing, vor allem bei nichtprofessionellen Modellen (wie im Falle der Hochzeitsfotografie) könnte die Lektüre sehr hilfreich sein. Ich bin absolut der gleichen Meinung mit Matthias (übrigens, eine sehr gute Rezension!) – auch wenn man den Stil des Fotografen als zu klassisch, kitschig oder konservativ empfinden mag, sind einige Hinweise aus dem Buch durchaus nützlich. Ich habe mir das Buch im Original gekauft und musste jedoch feststellen, dass die deutsche Fassung deutlich hochwertiger (mit Hardcover) produziert wurde.
Martin
März 01, 2015
Hallö, Genau das ist auch mein Eindruck. Bin noch nicht durch aber erkenne, dass hier grundlegendes vermittelt wird, was 1000 Posingbilder nicht transportieren könnten. Deine Einschätzung findet ich sehr hilfreich. Viele liebe Grüße Martin